Drohende Pandemie – was tun?

(aktualisiert am 13.3.20 und am 28.4.20)

Angst, neue Verhaltensregeln, Reiseverbote, Selbstquarantäne und abgesagte Veranstaltungen kennzeichnen die Welttournee eines kürzlich entdeckten neuen Coronavirus. Eine Mortalität von 2,5% wird anfänglich von den Medien kommuniziert und die Menschen in den betroffenen Ländern hamstern Brot, Toilettenpapier und Kondome.

Ausgelöst durch den Ausbruch von Covid-19 (offizieller Name der Krankheit, das Virus selbst wird als SARS-CoV-2 bezeichnet) werden wir uns mit den tatsächlichen Risiken tödlicher Viren befassen und versuchen, uns ein Bild von geeigneten Massnahmen zur Eindämmung der Krankheit zu machen. Am Ende dieses Artikels findest du einige Links und Aussagen von Fachleuten, die dir bei der Navigation durch ein solches Thema helfen.

Zunächst möchte ich den Schweregrad dieser speziellen Krankheit verstehen. Sie beginnt mit Fieber, gefolgt von trockenem Husten, wobei sich eine Fülle anderer Symptome mit einstellen können. Nach einer Woche kann es zu Kurzatmigkeit führen, wobei etwa 20% der Patienten eine Krankenhausbehandlung benötigen. Bei 14% handelt es sich um schwere Fälle, bei denen sich schwere Krankheiten wie Lungenentzündung und Kurzatmigkeit entwickeln. 4,7% sind kritisch und können Atemversagen, septischen Schock und Multiorganversagen umfassen. In etwa 2% der gemeldeten Fälle ist das Virus tödlich. Von den ersten Symptomen bis zum Tod können 14 Tage vergehen.

Dunkelziffer der nicht gemeldeten Fälle geschätzt aufgrund ETH Modellrechnung (3). Lediglich der farbige Teil des linken Kuchens steht den Epidemiologen (und Medien) für Analysen und Aussagen zur Verfügung. Vermutlich verlaufen 99% der Infektionen mild.

Die Medien erwähnen „Mortalität“, während der genauere Begriff „Case Fatality Ratio“ (CFR) wäre, da er sich nur auf Fälle bezieht, die im Labor positiv getestet wurden.

Bestehende Krankheiten, die ein erhöhtes Risiko für Covid-19 darstellen (1):

Vorbestehende Krankheit CFR
Herz-Kreislauf-Erkrankungen 13.2%
Diabetes 9.2%
Chronische Atemwegserkrankungen 8.0%
Krebs 7.6%

Altersabhängigkeit von Covid-19 (1)

Altersgruppe CFR
0-9 Jahre 0.0%
10-19 Jahre 0.2%
20-29 Jahre 0.2%
30-39 Jahre 0.2%
40-49 Jahre 0.4%
50-59 Jahre 1.3%
60-69 Jahre 3.6%
70-79 Jahre 8.0%
ab 80 Jahre 14.8%

Epidemiologen wissen, dass viele Menschen mit einer milden Form der Krankheit nie das Gesundheitssystem kontaktieren, um auf das Virus zu testen, daher wird der CFR in der Regel zu hoch berechnet. Ein weiterer Faktor, der den CFR beeinflusst, ist die natürliche Dynamik einer solchen Krise. In der Regel braucht es einige wenige schwere Fälle, bis die Gesundheitsbehörden begreifen, was abgeht. Meist treten auch einige frühe Todesfälle auf. Bei Ausbruch der Krise ist der gemeldete CFR in der Regel zu hoch.

Wie wahrscheinlich ist es, dass ich mich anstecke?

Da es sich um ein neues Virus handelt, gibt es noch keine Immunität und keinen Impfstoff. Bei einer etablierten Virusfamilie wie der saisonalen Grippe stecken sich schätzungsweise 10% der Bevölkerung jedes Jahr damit an. Die Immunität nach Ansteckung mit Coronaviren verliert sich nach einigen Jahren, so dass sich auch mit dieser neuen Krankheit eine periodische Neuerkrankung einstellen könnte.

Nehmen wir an, dass sich das neue Virus ähnlich verhält wie die Spanische Grippe, die 1918 -1920 wütete. Schätzungsweise 27% der Weltbevölkerung wurden damals innerhalb von 2 Jahren infiziert (2). Heute ist die Welt stärker vernetzt, somit ist die Wahrscheinlichkeit einer breitflächigen Ansteckung der Weltbevölkerung innerhalb einer kürzeren Zeit gegeben.

Nehmen wir an, ich kann eine Ansteckung nicht verhindern. Ich würde mich dann lieber an einem Ort befinden, der es mir erlaubt, bei Bedarf Hilfe zu bekommen. Der mir einen gewissen Komfort und Betätigungsfelder ermöglicht. Besser nicht auf einer Reise, bei der ich Gefahr laufe, von Behörden schikaniert zu werden, nur weil ich Ausländer bin. Oder in einem Hotelzimmer interniert zu werden. Und besser nicht in einer Stresssituation, die mein Immunsystem zusätzlich belastet.

Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufes mit Spitalaufenthalt?

Die Fallzahlen von Covid-19 nehmen rasch zu, scheinen aber im Vergleich zur Größe der betroffenen Bevölkerung immer noch gering zu sein (4). Mathematische Modellierungen von ETH-Forschern (3) deuten darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der Infektionen zwischen 7 und 33 Mal höher liegt. Nehmen wir das Mittel, also eine um 20-fach höhere Dunkelziffer von Ansteckungen. Dies würde auf 95% nicht gemeldete Fälle (mit keinen oder leichten Symptomen) hinweisen. Zusammen mit dem milden Krankheitsverlauf in 80% der gemeldeten Fälle besteht vermutlich ein 1% Risiko einer Hospitalisierung.

Coronavirus COVID-19 Globale Übersicht von Johns Hopkins Universität am 2. März 2020 nach ca. 3 Monaten seit Patient Null (4)

An diesem Punkt ist es nicht mehr relevant, auf welche Weise und wie schnell sich die Infektion ausbreitet. Covid-19 scheint sich über Tröpfchen zu verbreiten, die bei Husten und Niessen entstehen, und 15 Minuten in weniger als 2 Metern Entfernung machen eine Ansteckung wahrscheinlich. Im Durchschnitt werden 2-3 Personen von einer kranken Person infiziert (dies ist ein Maß für die Infektiosität, wird als Basis-Reproduktionszahl bezeichnet und mit R0 abgekürzt). Es ist eine wichtige Zahl für die Behörden, um Massnahmen zu definieren.

Für die Covid-19 Welle dauerte es rund 4 Wochen nach ersten Pressemeldungen, bis das Thema ausserhalb China in genügender Zahl auftrat und Ernst genommen wurde und nochmal weitere 2 Wochen, bis Unternehmen in Europa noch vor den Regierungen Massnahmen ergriffen.

Politische Entscheidungen in gesundheitlichen Notfällen basieren auf mehr als nur auf Gesundheitsinformationen. Die Entscheidungen basieren auf Politik, Wirtschaft und auf dem Druck, die Entscheidungen anderer Unternehmen, Regionen oder Länder widerzuspiegeln.

Total COVID-19 cases in various countries (as of April 28, 2020) [7]
Obwohl die Länder spätestens Ende Februar im Bild waren und eine Virenpandemie teils bereits als Fallstudie behandelt hatten, gab es nur wenige Länder, die mit einem Massnahmenplan, mit Schutzausrüstungen und Testsets vorbereitet waren. Taiwan ist das Musterland, das bereits 2003 mit SARS Erfahrungen sammeln konnte. Singapur konnte zu Beginn ebenfalls einen mustergültigen Verlauf präsentieren, doch die vielen Gastarbeiter, die zu Tausenden in engen Bauten hausten, stellten einen optimalen Nährboden für die unkontrollierte Vermehrung des Virus dar. Die Schweiz reagierte zu Beginn etwas zögerlich, konnte dann aber mit strikten einheitlichen Massnahmen das Wachstum brechen und eine relativ gleichförmige Kurve erzeugen. Italien hat das Ereignis zu Beginn total verschlafen und musste im Norden den Zusammenbruch des Gesundheitswesen miterleben. Als sich das Wissen um die richtigen Massnahmen endlich eingestellt hatte, wurde die Sperrung von Norditalien einige Stunden zu früh von der Presse ausgeplaudert, was mobile Junge dazu veranlasste, in den Süden zu ihren Eltern zu fliehen und diese anzustecken. Der Krankheitsverlauf in den USA wurde von einem Präsidenten geprägt, der sich zu Beginn immun wähnte, dann die Statistik durch zurückhaltendes Testen geschönt sehen wollte, Empfehlungen seiner Fachleute  in den Wind schlug und die Rolle der Zentralregierung mit Bürokratie lähmte, so dass verschiedene Staaten in eigener Kompetenz unterschiedliche Massnahmen ergriffen. Als Gipfel seines Versagens schlug er vor, Desinfektionsmittel einzunehmen, da dies ja die Viren töten würde.

Eine der wichtigsten Massnahmen, die in dieser Krise ergiffen wurde, war das Verbot von Menschenansammlungen – somit wurden Grossveranstaltungen und Schulen geschlossen. Im europäischen Schengenraum (mit eigentlich freiem Personenverkehr) wurden Grenzen geschlossen. In China wurde die Stadt Wuhan abgeriegelt und die Leute in ihren Wohnungen festgehalten, die sie nur alle drei Tage verlassen durften, um Lebensmittel einzukaufen. Frankreich setzte ein Aktionsradius von 1 km um die Wohnung herum fest. Firmen liessen die Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten und wer nicht in einem als essenziell eingestuften Gewerbe tätig war, hatte wochenlang nichts mehr zu tun und im schlimmsten Fall kein Einkommen.

Es scheint, dass es bei Covid-19 einige Tage gibt, wo die Träger schon ansteckend sind, ohne Symptome zu zeigen. Bei einer Inkubationszeit zwischen 2 und 14 Tagen und einer Woche mit milden Symptomen dauert es im Schnitt 2 Wochen, bis sich die Wirkung der Massnahmen in den Arztpraxen und Spitälern zeigen kann. Deshalb ist das wahre Ausmass der Krise zunächst unsichtbar und wer erst bei den ersten Todesfällen reagiert, wird 3-4 Wochen warten müssen, bis sich die Wirkung der Massnahmen offenbaren. Daher werden die Behörden bei dieser Konstellation immer einen Schritt hinterher sein, falls sie ihre Massnahmen von identifizierten Fällen abhängig machen.

Dennoch machen diese Massnahmen Sinn, weil sie zu einer Abflachung der Krankheitswelle füren und den zeitlichen Anfall von Hospitalisierungen in die Länge ziehen. Dadurch kann der Flaschenhals „Spitalbettkapazität“ und „Beatmungsmaschine“ im Idealfall vermieden verden. Tomas Pueyo beschreibt eindrücklich und anhand von Mathematik, wie die verheerende Dynamik dieser Pandemie hinter den Kulissen der Fallstatistiken verläuft [6]

Mit geeigneten Massnahmen lässt sich der Verlauf der Epidemie an die Behandlungskapazität eines Landes anpassen (Quelle: Alexander Radtke auf flowingdata.com)

Was wäre, wenn die Gefahr viel grösser wäre?

Wäre die Krankheit viel tödlicher und ebenso ansteckend wie Covid-19, ist es aus Sicht des Einzelnen ratsam, die Interaktionen mit anderen Menschen rasch und so vollständig wie möglich einzustellen. Es könnte bedeuten, dass man sich für längere Zeit isolieren muss, da eine Epidemie monatelang wüten kann.

Genaues Beobachten der Medien (auch soziale Medien) und Kenntnis des mathematischen Verlaufes einer Epidemie können dann helfen, den ungefähren Zeitpunkt zu definieren, ab wann man sich von der Gesellschaft distanzieren muss.

Gegen Tröpfchen und Schmierinfektionen schützen Distanz und Hygiene. Kontakt mit den empfindlichen Schleimhäuten in Augen, Mund, Atemwegen ist zu vermeiden. Um den Übertragungsweg dorthin zu unterbrechen, ist Händewaschen und Desinfizieren von Händen und Kontaktflächen empfohlen. Kranke niessen in ihre Ellbogen und bleiben zuhause.

Ein Vorrat an Schutzausrüstung ist durchaus empfehlenswert, falls man trotzdem in Kontakt mit Infizierten treten muss: Masken, Schutzbrille, Handschuhe, Desinfektionsmittel. Essen und Getränke für einige Monat, wenn man vermeiden möchte, andere Menschen zu treffen, wenn die Epidemie ihren Höhepunkt erreicht hat.

Selbst bei der relativ milden Wirkung von Covid-19 sind die Auswirkungen auf die Finanzmärkte und die Wirtschaft erheblich, da Logistik und Produktion zum Stillstand kommen. Grossereignisse wurden für mindestens 5 Monate abgesagt und Schulen während 2 Monaten geschlossen. Die Versicherungsgesellschaften bezahlen für Ausfälle nicht mehr, sobald eine Pandemie deklariert ist. Reisen finden keine mehr statt; Fluglinien befördern fast nur noch Güter. Erdöl wird viel weniger gebraucht, was zu einem Preiszerfall geführt hat. Regierungen versuchen notleidende Firmen mit Krediten am Leben zu halten und die USA schenkt allen Haushalten einen Scheck über 1200 Dollar. Notenbanken kaufen Staatsanleihen auf. Das Schreckensgespenst einer massiven Rezession macht die Runde, ebenso das Bonmot, wonach das Heilmittel schlimmer sei als die Krankheit. Experten sprechen davon, die Normalität erst wieder nach 1 – 2 Jahren zurückkehren würde.

Um Covid-19 in Perspektive zu rücken, vergleichen wir es mit einigen anderen bekannten Krankheiten (verschiedene Quellen)

Krankheit CFR R0 [Personen] Inkubationszeit [Tage] übertragen durch % milde Fälle
Saisonale Grippe 0.1% 0.9 – 2.1 1 – 4 Tröpfchen, Oberflächen >99.9%
Spanische Grippe (1918 – 1920) 2.5% 1.5 – 2.3 vermutlich ähnlich wie saisonale Grippe Tröpfchen, Oberflächen unbekannt
Covid-19 (SARS-2) 0.5% (bei gutem Krisenmanagement bis 12% (bei Mangel an Beatmungsgeräten) 1.5 – 4.5 2 – 14 Tröpfchen, Oberflächen ca. 99% (eigene Schätzung)
SARS (2003) 9.6% 2 – 4 2 – 7 Tröpfchen, Oberflächen unbekannt
MERS 34.5% 2 – 6.7 2 – 14 Tröpfchen, Oberflächen unbekannt
Ebola 25 – 90% 2 2 – 21 Körperflüssigkeiten unbekannt
Masern 30% (1920), 0.2% (Industrieländer) 12 – 18 10 – 12 Tröpfchen >95%
Beulenpest* 66% (unbehandelt), 10% (Industrieländer) 2.8 – 3.5 1 – 7 Flöhe, Tröpfchen unbekannt
Tollwut 99% 0 20 – 60 Tierbiss unbekannt

* bakterielle Erkrankung

Wie kann ich andere schützen? 

Risikopersonen wie Alte und Kranke sind vor Ansteckungen zu schützen. Dazu gehört auch die Überlegung, dass Kinder zwar nur mild betroffen sind, doch bei Schulschliessungen oft bei Grosseltern enden und die Viren dort weitergeben. Ich muss mir überlegen, ob Verwandtenbesuche wirklich notwendig sind und wie das Begrüssungsritual geändert werden kann, ohne dass die Parteien gekränkt sind.

Einige Aussagen

„Die WHO hat diesen Ausbruch rund um die Uhr bewertet, und wir sind zutiefst besorgt über das alarmierende Ausmass der Ausbreitung und den Schweregrad sowie über das alarmierende Ausmass der Untätigkeit.“
Tedros Adhanom Ghebreyesus
WHO-Generaldirektor
11. März 2020

„Ich halte es für wahrscheinlich, dass wir eine globale Pandemie erleben werden. Sollte eine Pandemie auftreten, werden wahrscheinlich 40 bis 70% der Menschen weltweit im kommenden Jahr infiziert werden. Welcher Anteil asymptomatisch (ohne Symptome) ist, kann ich nicht genau sagen.“
Prof. Marc Lipsitch
Prof. für Epidemiologie, Harvard School of Public Health
14. Februar 2020

„Es ist ein neuer Virus. Wir wissen nicht viel darüber, und deshalb sind wir alle bemüht, dafür zu sorgen, dass es sich nicht zu etwas noch Schlimmerem entwickelt.“
Prof. W. Ian Lipkin
Epidemiologie-Direktor, Columbia Universität
Feb. 10, 2020

„Li Wenliang, ein chinesischer Arzt, der versuchte, wegen des Coronavirus-Ausbruchs Alarm zu schlagen, ist gestorben.“
Guardian
7. Februar 2020

„Zunehmend unwahrscheinlich, dass das Virus eingedämmt werden kann“
Dr. Thomas R. Frieden
ehemaliger Direktor der CDC
2. Februar 2020

„Wir haben rechtliche Maßnahmen gegen acht Personen ergriffen, die kürzlich online Gerüchte über die lungenentzündungsähnliche Krankheit veröffentlicht und verbreitet haben und negative Auswirkungen auf die Gesellschaft verursacht haben.“
Polizei von Wuhan
1. Januar 2020

Links

Die folgenden Links bieten eine kleine Auswahl über relevante Quellen, zusätzlich zu Informationen der Weltgesundheitsorganisation WHO, des Center of Disease Control CDC sowie aus chinesischen Quellen, die den Ursprungsort von Covid-19 darstellen.

[1] Coronavirus auf Worldometer

[2] Spanische Grippe auf Wikipedia 

[3] Mathematische Modellierung der ETH 

[4] Dashboard der John Hopkins Universität

[5] Coronavirus auf Wikipedia

[6] Artikel Coronavirus: Why You Must Act Now auf Medium

[7] Our World in Data

Foto von Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAM von CDC

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