Es ist bereits ein Monat her, seit ich den Marathon des Sables 2018 gelaufen bin. Meine Gedanken und Emotionen hatten entsprechend Zeit, sich zu ordnen und des Erlebte zu verdauen. Geblieben ist das Gefühl, Ausserordentliches geleistet zu haben und wunderbare Tage verbracht zu haben. Im ersten Artikel werde ich den Lauf Revue passieren lassen und in einem zweiten, eher technischen Artikel Bilanz über Material und Strategien ziehen.
Meine Vorahnung hatte mich nicht getäuscht. Ich war tatsächlich mangelhaft vorbereitet auf diesen Lauf. Weder hatte ich genügend mit schwerem Rucksack trainiert, noch auf weglosem Terrain laufen können. Dies hat mir in Zusammenwirken mit wasserdichten Sandgamaschen Blasen an den Füssen verursacht, deren Management jeden Tag etwas mehr Zeit in Anspruch nahm. Doch goldrichtig war der Entscheid, unvollständig vorbereitet dafür ohne Verletzung am Start zu erscheinen. Die Schweizer top-Favoritin Andrea Huser musste wegen einer alten Verletzung bereits am 2. Tag das Segel streichen.
Was sich ebenfalls bewähren sollte, war das abgespeckte Gewicht meines Rucksackes, der ohne invasive Eingriffe am Start nur noch 7.2 kg auf die Waage brachte. Dazu kamen noch diverse Ausrüstungsgegenstände und Kleidung, so dass ich den Lauf mit 9 kg startete.


Admintag
Nachdem sich das Camp bereits am Vortag gefüllt hatte, konnten wir einander kennenlernen, Material und Rucksäcke vergleichen und noch letzte Veränderungen vornehmen. Das Coaching von 5-mal Veteran Markus führt dazu, dass Lebensmittel umgepackt, auf unnötiges verzichtet und Rationen aufs Minimum reduziert wurden. Danach wurde der Rucksack gewogen und die medizinischen Atteste kontrolliert. Dank Markus konnte das ganze Zelt mit Rucksackgewicht unter 8 kg starten.
Bewirtet wurden wir an diesem Tag weiterhin von einem Cateringunternehmen, das in einem grossen Zelt ein Buffet anbot. Gegessen wurde an kleinen Tischen unter freiem Himmel oder in Zelten.
Tag 1
Der erste Tag begann mit einem lockeren Einlaufen über 30 km und gab einen kleinen Vorgeschmack auf Klima und die Bodenbeschaffenheit der kommenden Tage. Es gab harten Boden, weichen Boden, Steinwüsten, Flussbett. Da der Wind immer etwas wehte, kam kein Hitzestau auf und Wasser gab es auch genug. Meine Angst vor Dehydrierung war völlig unbegründet und ich habe noch nie so viele Tage lang klar uriniert, wie in der Wüste. Ich habe zuviel Wasser mitgetragen!
Die Füsse hatten viel zu tun und am Abend gab es 4 Blasen. Die Geschwindigkeit war von allen Tagen am höchsten und vielleicht hätte ich meinen 287. Rang an den folgenden Tagen verteidigen können, wenn ich mich nicht regelmässig um die Füsse hätte kümmern müssen.

Tag 2
Nach einem schonenden Einstieg ohne Ausfälle am Vortag gingen wir auf eine 39-km Strecke, die grösstenteils eintönig war, im letzten Teil jedoch einen Höhepunkt in Form eines 300 Meter hohen Passes bot. Schöne kleine Schlucht hinauf, oben eine grossartige Rundumsicht und eine lange steile Düne zum Runterrennen. 6 Blasen und ein Besuch bei Doc Trotters, die Material für die Blasenbehandlung zur Verfügung stellten.
Die Nacht war etwas kühl und zusammen mit der minimalen Schlaflösung war der Schlaf von häufigen Unterbrechungen begleitet. Da wir jeweils um 20:30 Uhr ins „Bett“ gingen, hatten wir bis morgens um 6 Uhr mehr als genug Erholung.
Wiederum hatte ich am Tag so viel getrunken, dass die Blase in der Nacht 3x entleert werden wollte. Das Schreckgespenst „Dehydrierung“ war noch immer präsent.
Tag 3
Zwar waren es wieder nur um die 30 km, diesmal jedoch begleitet von über 650 Höhenmetern, die sowohl über 2 Kreten führten (mit super Aussicht) und den selben Pass der Hügelkette Jebel el Otfal über eine andere Route am Fixseil überquerte. Dieses Mal gab es keine Düne zum Runterrennen, sondern die bereits bekannte Schlucht mit dem markanten weissen Streifen im dunklen Stein. Leider streifte meine Gamasche eine scharfe Kante, so dass ich einen Reparaturhalt einlegen musste, um den Nylon-Triangel wieder sanddicht zu befestigen. Die Blasen waren jetzt profimässig verpackt, dennoch gab es bis am Abend nochmal 3 neue, was das Total auf 9 klettern liess. Endlich machte ich eine Ursachenanalyse und kam zum Schluss, dass mein Fussschweiss in Verbindung mit wasserdichten Gamaschen das Problem war.
Zum Glück waren keine tragenden Fussteile davon betroffen, so dass ich trotzdem flott zur Sache gehen konnte. Vor allem in den steilen Etappen konnte ich jeweils meine Stärke ausspielen. Alpine Bergpfade gewohnt zu sein, half mir dabei.
Tag 4
An diesem Morgen war das ganze Camp mit Sand gepudert. Nachts hatte ein Sandsturm stundenlang gewütet und wir hatten morgens um 3 Uhr das Zelt notfallmässig und ohne Mundschutz tieferlegen müssen. Leider blies der Wind trotzdem Sand ins Zelt (und in mein Ohr, das sich wie bei einem Tauchgang füllte). So waren am Morgen alle Athleten etwas angeschlagen, zumindest emotional, denn selbst unser 5-Mal MdS-Veteran hatte noch nichts Vergleichbares erlebt.
Niemand, der diesen Tag der langen Etappe nicht respektvoll anging. 86 Kilometer und über 1000 Höhenmeter würden es am Ende werde und ich kam endlich an meine Grenzen. Ich hatte beschlossen, an jedem Checkpoint die Füsse trocknen zu lassen, um nicht noch mehr Blasen einzufangen. Das gelang gut, allerdings verlor ich rund 90 Minuten damit. Erst als die Sonne nach über der Hälfte der Strecke hinter dem Horizont verschwand, wagte ich es, nonstop das 40 km entfernte Ziel anzupeilen. Dabei kam mir entgegen, dass wir uns in einer Dünenlandschaft befanden, die ich in der Nacht gut navigieren konnte. Es fiel mir leicht, harten Untergrund zu finden, während meine Kollegen auf dem aufgewühlten Hauptpfad sich abmühten und sich wohl fragten, was der einsame Typ in den Dünen wohl so trieb. Wie ein Geist lief ich durch die dunkle Nacht, im schwachen Licht meiner Stirnlampe und als Rücklicht eine gelbe Leuchtmarkierung. Irgendwann fiel mir auch auf, dass die Organisatoren die Nachtetappe wohl aus Sicherheitsgründen mehrheitlich auf befahrbare Naturstrassen gelegt hatten. Dies gab mir zusätzliche Sicherheit und ich brauchte in jenen einsamen Stunden weder Karte noch Kompass. Die letzten 10 km ging es zunächst durch einen Flusslauf, der so weich war, dass Vorankommen sehr kräfteraubend war und zunächst kein harter Untergrund vorhanden war. Danach war das Camp schon bald sichtbar, doch die Strecke zog sich endlos lang hin und nur dank dem Gespräch mit einem Kanadier konnte ich weiterhin zügig vorankommen. Meine Energieversorgung war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gewährleistet, da ich meine Fettgels nicht mehr ausstehen konnte. Auch sonst hatte ich nichts bei mir, das einen schnellen Boost hätte geben könne. So bin ich die letzten 10 km auf Reserve gelaufen und war ganz schön erleichtert, ins Ziel einlaufen zu können. Dort wurde wie üblich süsser Tee offeriert, was mir die Kraft gab, mich ins Zelt zu den Kollegen zu schleppen, die wach waren, weil 20 Minuten früher ein anderer Kollege angekommen war. Super, morgens um 3 Uhr so freundlich begrüsst zu werden!
Obwohl ich wusste, dass ich vor dem Schlafengehen noch etwas essen oder einen Recovery-Shake nehmen sollte, gab ich meinem Körper nach, der ungestüm Nachtruhe verlangte. In jenem Zustand der Erschöpfung vermag das Hirn noch immer über den Körper herrschen, doch es bedarf jetzt enormer Willenskraft, etwas durchzusetzen. Somit ging ich schlafen, ohne dem Körper Bau- und Reparaturstoffe zur Verfügung zu stellen. Der nächste Morgen würde mir zeigen, was von dieser Vorgehensweise zu halten ist.
Tag 5
Natürlich bot die Nacht keine entspannte Erholung durch Tiefschlaf. Immer wieder wechselte ich die Lage. Durch die relativ harte Unterlage erhielten die Muskeln immer wieder Druckpunktmassagen und obwohl der Kopf am Morgen noch müde war, bedankte sich der Körper für diese Unterstützung.
Ob die wohltuende Wirkung eines harten unebenen Bodens auf geschundene Muskeln schon von anderen beobachtet und beschrieben wurde?
Dank meinem frühen Ankommen konnte ich die Nacht und den Ruhetag nutzen, um meine Kleider zu waschen, Kalorien zu bunkern, Emails zu schreiben, bei den Ärzten mehr Material für meine Blasen holen und mich andauernd zu fragen, wie meine geschundenen Beine und Füsse am nächsten Tag überhaupt zum Marathon starten würden. Allen stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben, die lange Etappe geschafft zu haben. Nur noch ein Marathon, das sollte nach den knapp 100 Leistungskilometern des Vortages ein Klacks sein.
Gegen 19 Uhr ging es wie ein Lauffeuer durchs Camp, dass der letzte Läufer, ein gewisser Mahmut, ins Ziel komme. Wer seine Beine noch brauchen konnte, ging ihm entgegen. Eine ergreifende Szene spielte sich ab, wie der fast gebrochene Mann schief ins Ziel lief und von allen gefeiert wurde.
Tag 6
An diesem Tag bliess der Wind nur einmal und sorgte den ganzen Tag lang für atmosphärische Wüstenstimmung. Mahmut blieb diesem Anlass fern. Nur eine Nacht „Erholung“ war ihm wohl nicht genug gewesen. 42 km sowie 800 Höhenmeter waren zurückzulegen und ich ging das Ganze sehr flott an, weil wiederum Dünen zu bewältigen waren, was viele Leute auf dem beschwerlichen Direktweg machten. Das forderte mich heraus, eine bessere Linie zu suchen, die ich meistens auch fand. Bald jedoch kam der Wind von vorne und die klugen Läufer bildeten Windschattengemeinschaften, um Energie zu sparen. Ich gehörte nicht dazu, da hatten Flachlandnationen ihrerseits einen kompetitiven Vorteil, nachdem ich mich über meine Stärke in steilen Etappen gefreut hatte. Die Blasen waren alle mit erstklassigem Tape versorgt, zudem gab es am nächsten Tag keine Herausforderung mehr, so dass ich gab, was ich konnte. Ein Platz knapp im ersten Drittel des Feldes war das Resultat dieser 5. Etappe.
Fazit
Im Gesamtklassement konnte ich mich in den top-400 platzieren. Trotz einiger bereits erwähnten Unzulänglichkeiten im Training habe ich dank Ratschlägen von Ehemaligen viele Anfängerfehler vermeiden können, mich rasch an die Bedingungen vor Ort gewöhnen können und mich dabei wohl gefühlt. Leigh hatte mir mitgegeben, dass die Füsse das wichtigste Gut sind und immer Vorrang haben. Daniel hatte mir einen regelmässigen Trinkrhythmus und den professionellen Umgang mit Blasen beigebracht. Markus hat mich in eine neue Welt der UL-Produkte eingeführt und mich auf die wasserdichte Beschaffenheit meiner Sandgamaschen aufmerksam gemacht. Sybille hat vorgemacht, wie sie mit top Vorbereitung flexibel und locker an die Herausforderung heranging und am Ende mit dem 100. Gesamtrang belohnt wurde. Yazid hatte Probleme mit Achillessehne, die andere vermutlich im Sofa kuriert hätten. Er hat sich durchgebissen und rausgeholt, was überhaupt möglich war. Fabian war sehr lernfähig und hat seine Ausrüstung zu Beginn wohl um fast ein Kilogramm abspecken können. Für die Abenteurerin Yang war der Lauf ein weiteres Kapitel in ihrem Leben, Sie hat bewusst und genussvoll Interaktionen mit anderen Läufern gesucht, ohne dem Geschwindigkeitsrausch zu verfallen. Konstante Anpassung war wohl das Geheimmittel, auf das ich zählen durfte. Mit der Zeit lernte ich sogar den Salzhaushalt kontrollieren, indem ich auf geschwollene Finger achtete. Ich lernte müde Muskeln von unterernährten Muskeln unterscheiden. Ich wurde vom anspruchsvollen und Gelenk schonenden Terrain überrascht. Ich setzte jeden meiner 250’000 Schritte sicher und kontrolliert in den Sand und in die Felsen. Fokussiert vermied ich während 6 Lauftagen Verletzungen und hatte einen riesen Spass, Dünen voll Speed runterzulaufen. Ich machte die Umgebung zu meinem Kumpel und die Nacht zu meinem Freund. So fühlte ich mich mit Ausnahme des ersten Tages immer wohl. Die Wüste ist bei weitem nicht das lebensfeindliche Habitat, als das ich sie immer betrachtet hatte.
Fotos vom Autor, Fabian Wehrli und offiziellen MdS-Fotografen
