Wie lange arbeiten, wie lange das Rentnerdasein geniessen? Die Schweiz hat darauf die klare Antwort: „Rentenalter 65“. Doch letztlich ist es eine Frage, die sich jedermann selbst stellen muss: was bedeutet mir Arbeit, was Freizeit und wie möchte ich die Zeit nach der Erwerbstätigkeit gestalten?
Zu Beginn werfen wir den Blick weit zurück in die Steinzeit, vor einer Million Jahren. Damals und seither haben die meisten Menschen viel Aufwand leisten müssen, um Nahrung, Kleidung und ein Dach über dem Kopf zu haben. Im Familienverband leisteten jüngere und kräftigere Mitglieder etwas mehr, dafür brachte sich die ältere Generation mit Erfahrung ein. In einer solchen Gesellschaft basierte die Versorgung im Alter vor allem auf einer ausreichenden Kinderzahl, auf Eigentum an Haus und/oder landwirtschaftlicher Nutzfläche sowie – für eine kleine Minderheit der Bevölkerung – auf einem ausreichenden eigenen Vermögen.
Eine staatliche Altersvorsorge kennt man seit der Römerzeit, wo den Legionären ein Teil Soldes abgezogen wurde, den sie nach 20 Dienstjahren zusammen mit einem Landrecht erhielten. Damit konnten sich die ehemaligen Legionäre ein bäuerliches Gut erwerben.
Moderne Altersvorsorge
Die heutige Altersvorsorge mit betrieblichen und staatlichen Komponenten geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück, wo kapitalgedeckte Invaliditäts- und Altersrenten eingeführt wurden. Durch zwei Weltkriege, Inflation und Wirtschaftskrise ging die Kapitaldecke verloren, so dass zumindest in Deutschland auf ein Umlagerungsverfahren umgestellt wurde, wo die arbeitsfähige Allgemeinheit die Kosten der Altersrenten deckt.
Im Drei-Säulen-System der Schweiz wird die staatliche und betriebliche noch mit einer privaten Komponente ergänzt. Dabei handelt es sich sowohl um umlagefinanzierte (Säule 1) als auch kapitalgedeckte Versicherungen (Säule 2 und 3).
Ganz grob lässt sich das Konzept der Altersvorsorge heute so zusammenfassen:
Arbeite 45 Jahre, spare 20% pro Jahr und lebe danach im Ruhestand bis an dein Lebensende.
Drei Aspekte lassen diese Altersvorsorge wanken
- Die Lebenserwartung steigt munter weiter; alle 10 Jahre nimmt die durchschnittliche Lebenserwartung um 2.5 Jahre zu. Dieser Trend ist seit 160 Jahren ungebrochen. Immer mehr Jahre nach der Pensionierung müssen finanziert werden.
- Der Zins befindet sich in der Gegend von Null, so dass es immer schwerer wird, mit dem Kapital genügend Rendite zu erzielen.
- Demographisch altert die Gesellschaft immer mehr und weniger Personen im Erwerbsalter stehen für eine Finanzierung im Umlagerungsverfahren zur Verfügung
Tiefgreifende Änderungen stehen bevor
Staat und Pensionskassen (Säule 2) haben diesen Trend erkannt und ergreifen nach und nach Massnahmen:
- 2013 wurde in meiner Pensionskasse das Recht gestrichten, bei der Pensionierung eine Rente auf Basis des letzten Salärs zu beziehen (Leistungsprimat)
- Im darauffolgenden Beitragsprimat hatten wir 2015 bei einem Pensionsalter von 65 Jahren ein Umwandlungssatz von 6.8%
- Bis 2025 wird er in meiner Pensionskasse auf 4.8% sinken. Das bedeutet, dass von CHF 100‘000 Pensionskassenguthaben pro Jahr nur noch 4800 statt 6800 ausbezahlt werden
- Ich darf damit rechnen, dass sich der Umwandlungssatz bis zu meinem Pensionsalter weiter reduzieren wird
- Eine weitere Anpassung des Pensionsalters nach oben ist nach dem Volksentscheid gegen ein halbherziges Sanierungspaket seit 2017 wieder auf dem politischen Verhandlungstisch
- Jenseits Alter 80 steigt der Pflegebedarf an, was kostenintensiv ist und sich aufgrund des demographischen Wandels immer weniger über Umlagerungsfinanzierung berappen lässt. Der Thinktank Avenir Suisse schlägt eine individuelle monatliche Abgabe vor, um dies zu finanzieren.
Alle 10 Jahre nimmt die durchschnittliche Lebenserwartung um 2.5 Jahre zu. Dieser Trend ist seit 160 Jahren ungebrochen.
Eine Entwicklung, bei der alle verlieren.
Wie lässt sich eine Frühpensionierung planen?
Mit dem Verlust des Leistungsprimates fällt auch der Druck weg, bis vor die Pensionierung 100% zu arbeiten, um eine volle Rente zu erhalten. Somit kommen neue Spielformen ins Rennen.
Rein rechnerisch lässt sich bei der Sparquote ansetzen. Falls ich als 20-Jähriger pro Jahr 40% anstatt nur 20% sparen kann, erreiche ich den notwendigen Kapitalstock bereits nach 23 Jahren und kann mich mit Alter 43 zur Ruhe setzen. EarlyRetirementExtreme.com geht mit 80% Sparquote noch viel, viel weiter und plädiert dafür, die grossen Kostenblöcke Wohnen, Transport, Essen und Freizeit rigoros zu optimieren, ja sogar freiwillig unter die Armutsschwelle zu gehen. Kalkulatorisch lässt sich damit mit 31 Jahren bereits in Rente gehen. Wieviel du wirklich fürs Leben brauchst, sagt dir der Budgetrechner.
Philosophisch lässt sich eine Auseinandersetzung mit dem heutigen Konsumverhalten so gestalten, dass man sich daraus weitestgehend ausklinkt und zurück zu den Wurzeln geht. Die Nahrung selbst anpflanzen, das Dach über dem Kopf selbst bauen und zurückhaltend Geld ausgeben. Dieses Leben ist weitaus beschwerlicher, als wir es uns im wohlstandsverwöhnten Kapitalismus gewohnt sind; dies war jedoch während hunderttausenden von Jahren für die meisten Menschen Realität. Der Tausch von Arbeitskraft in Geld und wieder zurück in Nahrung, Freizeit oder Sport fällt dann weg, weil dann Nahrung selbst angebaut werden kann und Freizeit und Sport direkt zur Verfügung stehen.
Einen solcher Lebensstil sei komplett anders als Konsumlust und Karrieredenken, wie sie den meisten Menschen bekannt seien. Sowas zu verstehen und zu verinnerlichen, dauere zwischen 6 und 24 Monate des Nachdenkens, sagt Jacob von EarlyRetirementExtreme.com.
„Fully comprehending and internalizing a lifestyle that is so different from the consumerism and careerism that most people know usually takes anywhere from 6-24 months of deep thinking.“
Wenn ich mich bereits in der zweiten Hälfte des Erwerbsleben befinde, kann ich Kassensturz machen und mir überlegen, welchen Lebensstandard ich wähle kann und welche Rendite ich auf meinem Kapital erzielen muss, damit das Geld bis zum Lebensende reicht. Die Pensionskasse lässt sich unter bestimmten Voraussetzungen vollständig ausbezahlen, wodurch sich der Kassensturz auf Sachwerte, Ersparnisse, Säule 2 und Säule 3 (minus Schulden) erstrecken kann. Im Alter können noch Erbschaften hinzu kommen und ab 65 wird die Säule 1-Rente bezahlt, falls es sie bis dann noch gibt. Hier ist ein vereinfachtes Rechenbeispiel bei Vollbezug der Pensionskasse.
Was mir persönlich gut gefällt, ist die Zebralösung. Anstatt Erwerbsleben und Rentnerdasein voneinander zu trennen, findet dies abwechselnd statt. Sei es in einem Teilzeitpensum, einem saisonalen Job mit 3-4 Monaten Ferien pro Jahr oder Sabbaticals: die entstandene Abwechslung und Zeitautonomie wirkt zumindest bei mir motivierend und setzt kreative Kräfte frei. Natürlich erlaubt ein solch zerstückeltes Erwerbsleben keine gradlinige Karriere in einer Grossfirma und versperrt womöglich den Weg zu hochbezahlten Jobs. Doch die erhöhte Zufriedenheit macht dies mehr als wett. Auch im Alter wird es Jobs geben, die Miete, Nahrung und Transport bezahlen.
Fazit
Unter Berücksichtigung aller Aspekte stellt sich die Frage, wie weit wir unser Urteilsvermögen einsetzen möchten und den Willen haben, in Selbstverantwortung einen Weg zu wählen, noch bevor die Gesellschaft dies im politischen Prozess entscheidet. Früh zu sparen beginnen, kluge Investitionen tätigen, Freiräume nutzen. In meinen Augen die bessere Variante, als Lebensträume zu beerdigen, jahrelang einzuzahlen und am Ende die Faust im Sack zu machen, weil wir mit drei Säulen schlechter dastehen, als unsere Eltern mit ihren zwei Säulen. Im Leben wie im Sport gilt die Devise: Ohne Fleiss kein Preis! Es lebe der Unruhestand!
(Foto von Chris Devers auf Flickr)

Ein Aspekt, der im Artikel zu kurz kommt, ist die Frage, was man tun möchte, wenn man finanziell unabhängig und/oder frühpensioniert ist. „Da kommt Langeweile auf“ höre ich bisweilen.
Der Privatier hat sich in seinem Umfeld mal umgehört. Spannend, was an Gedanken zusammengekommen ist. https://der-privatier.com/ergebnisse-der-blogparade-freiheit-oder-langeweile/
Ich habe mich auch intensiv mit der Frühpensionierung beschäftigt, https://www.50plus.ch/article/pensionierung-wichtige-informationen-fuer-zukuenftige-ruhestaendler.html?tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&cHash=f79a06248423057e6172a4aec71f87a3 . Wer würde nicht gerne früher aufhören zu arbeiten. Für mich kommt es leider nicht in Frage, ich werde wohl meine Jahre voll machen müssen