Wenn ein Menschenleben 100 Jahre zählt

Wir leben heute 20 Jahre länger als unsere Grosseltern und 50 Prozent der Kinder, die 2017 in Westeuropa zur Welt kommen, werden 100 Jahre alt werden. Wie füllen wir diese Lebenszeit mit Sinn und Tätigkeit? An welchen Vorbildern orientieren wir uns?

So wie sich im Laufe der Zeit das Verständnis von Zimmertemperatur, Armut und Work-Life-Balance verändert haben, ist die Dauer eines Menschenlebens nicht mehr dieselbe. Die im Jahr 2000 geborene Generation hatte gemäss offizieller Schweizer Sterbetafel bei Geburt eine mittlere Lebenserwartung von 77 Jahren. 10 Jahre später wurden einem Neugeborenen bereits 80 Jahre prognostiziert. Bei einem 60-jährigen Mann war die durchschnittliche Lebenserwartung 2000 bei 81 Jahren und 10 Jahre später konnten die dann noch lebenden 70 Jährigen damit rechnen, im Schnitt 85 Jahre alt zu werden [1]. Diese Verringerung der Alterssterblichkeit entspricht einer 40% Lebensrendite. Man kann es so verstehen, dass mit jedem Jahr, das Mann im fortgesetzten Alter überlebt, die Lebensdauer um 0.4 Jahre ansteigt. Bei den Frauen steigt die Lebenserwartung im Alter ebenfalls, allerdings mit 0.3 Jahre etwas geringer.

Historische Entwicklung der Lebenserwartung in Westeuropa

Wir leben fast eine Generation länger als unsere Grosseltern. Dieser Trend zum Älterwerden ist seit 160 Jahren ungebrochen und steigt im Durchschnitt alle 10 Jahre um weitere 2.5 Jahre an [2]. Somit passen die Vorbilder von früher nur noch bedingt zu unserer Wirklichkeit.

Nachdem wir uns an dieser Stelle schon mal Gedanken über die Finanzierbarkeit des Ruhestandes gemacht haben, möchte ich jetzt den Augenmerk auf die Betätigung lenken: Die Professorin Lynda Gratton denkt darüber nach, wie wir ein Leben planen, das länger und länger wird. Sie spricht davon, dass wir uns vom Dreiphasenmodell Ausbildung – Beruf – Pension werden lösen wollen und mit einem Mehrphasenmodell operieren werden. Wenn die Zeit zwischen 20 und 80 (dem neuen Pensionsalter) mit Arbeit und Betätigungen gefüllt werden soll, dann eröffnen sich neue Möglichkeiten wie multiple Karrieren und Ausbildungen, Zwischenjahre und andere Arbeitstempos.

Die Alten sind länger fit, sowohl körperlich als auch geistig, und möchten sich engagieren. Sie sind entspannter und gelassener, bringen eine höhere Sozialkompetenz mit und haben ein längeres Gedächtnis, was geschichtliche Ereignisse betrifft. Sie verbrauchen ihre Gesundheit nicht auf alkoholgeschwängerten Partys und gestressten Ferien und fallen entsprechend weniger häufig aus. Die Realität in Firmen widerspricht jedoch oft der demographischen Entwicklung. Ältere Mitarbeiter gelten zunehmend als teuer, unflexibel und wenig geeignet. Sie werden zunehmend unsichtbar und sind bestenfalls noch geduldet. 

Frau Gratton hat in einem Artikel [3] folgende Reibungsflächen zwischen Mitarbeitern und Firmen identifiziert

  • Menschen möchten Personalisierung, Firmen möchten Konformität
  • Menschen möchten Flexibilität, Firmen die Standardisierung
  • Menschen möchten altersneutral arbeiten, Firmen möchten Altersmarkierungen setzen

Wohl wird sich die Kluft zwischen individuellen Arbeitnehmerwünschen und den meisten Firmen sich in den nächsten Jahren noch verbreitern. Dennoch gibt es einige Firmen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und diverse Ausprägungen anbieten bei Arbeitstempo (beschleunigen, verlangsamen), Arbeitspensum (Voll- oder Teilzeit), Arbeitsort (zuhause oder Büro) und Rolle (Projekt oder Support). Zeitliche Flexibilität wird als einer der wichtigsten Faktoren betrachtet, um sich Fähigkeiten, Fertigkeiten, Gesundheit, Fitness, Familienanschluss und Beziehungen erhalten und aufbauen zu können. Alles immaterielle Werte, die für das Mehrphasenmodell als unabdingbar erachtet werden.

Frau Gratton hat darüber ein Buch geschrieben und lädt Leser dazu ein, auf ihrer Website den eigenen Lebensweg zu schildern. Hier ist Inspiration pur vorhanden! Hier gibt es auch einen Selbsttest, der momentan zwar keine Auswertung erlaubt, doch aufgrund der Fragen Aufschluss über die relevanten Themen gibt.

Multiphasen-Lebensstory

Als Abschluss noch eine kleine Animation zum Anstieg der Lebenserwartung in den 15 Top-Nationen

[1] Bundesamt für Statistik – Lebenserwartung 1999 – 2016

[2] Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2005 · 48: Seiten 586–592

[3] Sloan Management Magazin – „People are living longer and working longer – but few organizations have come to grips with the opportunities and challenges that greater longevity brings“

Images from www.100yearlife.com and www.pexels.com

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Wir leben heute 20 Jahre länger als unsere Grosseltern und 50 Prozent der Kinder, die 2017 in Westeuropa zur Welt kommen, werden 100 Jahre alt werden. Wie füllen wir diese Lebenszeit mit Sinn und Tätigkeit? An welchen Vorbildern orientieren wir uns?

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